MINT Nachwuchsbarometer 2022
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die MINT-Bildung ausgewirkt? Erste Antworten darauf gibt das MINT Nachwuchsbarometer 2022. Die aktuelle Analyse zeigt, dass gerade die MINT-Bildung an Schulen während der Pandemie gelitten hat. Die Hochschulen dagegen haben sich als krisenresilient erwiesen und der Hochschulunterricht steht vor einem großen Umbruch.
Das MINT Nachwuchsbarometer analysiert jährlich den Stand der MINT-Bildung in Deutschland. In diesem Jahr untersucht es insbesondere die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die verschiedenen Bildungsetappen sowie die Möglichkeiten digitaler Lehr- und Lernformate. Pandemiebedingte Lernrückstände, digitaler Unterricht und migrationsbedingte Unterschiede brauchen neue Impulse, um die gute Qualität der MINT-Bildung in Zukunft sicherzustellen.
Das Wichtigste in Kürze
SCHULISCHE BILDUNG
Bis zum Ende der Grundschule haben Schülerinnen und Schüler in Mathematik und in den Naturwissenschaften erhebliche Lernrückstände aufgebaut. Der Anteil der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler steigt im Fach Mathematik um 10 Prozent.
SCHULISCHE UND AKADEMISCHE BILDUNG
Lehrkräfte setzen inzwischen wesentlich öfter digitale Medien im Unterricht ein, MINT-Lehrkräfte nutzten Projektarbeit im Distanzunterricht jedoch selten. MINT-Studierende wünschen sich für die Zukunft hybride Lehrformate.
AKADEMISCHE BILDUNG
Rückläufige MINT-Studienanfänger-zahlen sowie eine hohe Wechsel- und Abbruchquote erfordern dringende Maßnahmen. Studentinnen sind in den Lehramtsfächern Physik und Informatik unterrepräsentiert.
BERUFLICHE BILDUNG
Die Anzahl der MINT-Ausbildungsabbrüche sinkt leicht. Auszubildende mit Hauptschulabschluss brechen zu 20 Prozent öfter ab als Auszubildende mit Abitur.

Sekundarstufe: Lernrückstände und Lehrmethoden
Die Corona-Pandemie führte im Frühjahr 2020 und Winter 2020/21 dazu, dass Schülerinnen und Schüler zu Hause lernen und Lehrkräfte Distanzunterricht durch­führen mussten. Im Grundschul­bereich und in der weiterführenden Schule (Se­kundarstufe I) durchgeführte wissenschaftliche Studien zeigen: In Deutschland und in anderen europäischen Ländern haben Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Grundschule Lern­rückstände im Fach Mathematik aufgebaut, die zehn bis 13 Lernwochen entsprechen. Fachliche Lernrückstände von Schülerinnen und Schülern sind bis zum Ende der Grundschule am höchsten.
95 Prozent der Lehrkräfte nutzen Lernplattformen.
Eine Studie belegt, dass inzwischen fast alle Lehrkräfte öfter digitale Medien im Unterricht nutzen. Im Frühjahr 2020 nutzen 72 Prozent der Befragten Lernplattformen für den Distanzunterricht. Im Winter 2020/21 waren es bereits 95 Prozent. In den meisten Fällen unterrichten die Lehrkräfte in Distanz zwar digital, scheinen ihren Präsenzunterricht aber eins zu eins ins Digitale übertragen zu haben.
Weitere Erkenntnisse:
Die gymnasiale Oberstufe verstärkt geschlechtsspezifische Unterschiede und trägt zu Unterschieden in mathematischen Kompetenzen von Mädchen und Jungen bei.
Digitale Lehrmethoden, wie "Flipped Classroom" können Lernerfolge von Schü­lerinnen und Schülern im naturwissenschaftli­chen Unterricht verbessern.
Migrationsbedingte Ungleichheiten entstehen bereits im Vorschulbereich. Daher spielt frühe Sprachförderung eine große Bedeutung für erfolgreiches MINT-Lernen.

Berufliche Bildung stärken, Fachkräftemangel stoppen
Deutlicher Rückgang um rund 20.000 bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im MINT-Bereich
Noch ist keine Erholung auf dem Ausbildungsmarkt in Sicht: Es gibt wenige Bewerberinnen und Bewerber, viele Lehrstellen bleiben unbesetzt. Auf dem dualen Ausbildungsmarkt hat die Corona-Pandemie im Jahr 2020 zu einem drastischen Einbruch geführt. Auch bei den MINT-Ausbildungsberufen war ein deutli­cher Rückgang um rund 20.000 neu abgeschlos­sene Ausbildungsverträge im Vergleich zu 2019 zu verzeichnen. Der Markt hat sich 2021 noch nicht erholt, die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt noch immer auf ähn­lichem Niveau wie 2020. Trotzdem bleiben MINT-Ausbildungsberufe bei jungen Menschen vergleichsweise beliebt. Im Jahr 2021 begannen wie in den Vorjahren 34 Pro­zent aller Auszubildenden eine MINT­-Berufsausbildung.
Weitere Erkenntnisse:
Hohe Abbruchquote bei Auszubildenden mit Hauptschulabschluss: rund 36 Prozent im Vergleich zu Abiturient innen und Abiturienten (knapp 16 Prozent).
Seit Jahren unverändert: Der Frauenanteil in den MINT-Ausbildungen beträgt elf Prozent.
Unter den zehn beliebtesten Ausbil­dungsberufen befinden sich wieder dieselben wie 2020: KFZ­-Mechatronik, Fachinformatik, Elektronik und Anlagemechanik.

Studium auf Distanz:
Vielfältige Lehrformate
Nach der Pandemie ist nicht vor der Pandemie: MINT-Studierende wünschen sich keine Rückkehr zur reinen Präsenzlehre. Rückläufige Studienanfängerzahlen und Lehrkräftemangel sind problematisch.

Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Lehre an den Hochschulen seit dem Sommersemester 2020 weitgehend digital statt. Öffnungsversuche im Wintersemester 2021/22 wurden zum Jahres­wechsel aufgrund der steigenden Inzidenzen wieder zurückgenommen. Insofern blieb es auch im zweiten Jahr der Pandemie an den meisten Standorten beim digitalen Distanzlernen. Das MINT Nachwuchsbarometer 2021 zeichnete auf Basis einer Studie der Universität Konstanz und des Deutschen Zentrums für Hochschul­e und Wissenschaftsforschung (DZHW) bereits ein überwiegend positives Bild des digitalen Lernens an den deutschen Hochschulen. Diese gute Be­wertung der digitalen Lehre setzt sich auch im zweiten Jahr der Pandemie fort.
Weitere Erkenntnisse:
Im Studienjahr 2020/2021 nahmen sechs Prozent weniger Menschen ein MINT-Studium auf als im Vorjahr.
Für die kommenden Jahre ist ein weiter steigender Wechsel­ und eine hohe Abbruch­quote wahrscheinlich.

Drei Viertel der befragten MINT-Masterstudierenden sind mit dem pandemiebedingten Krisenmanagement ihrer Hochschule zufrieden.

Fazit
Auch im zweiten Pandemiejahr zeigen die Situation des Bildungssystems und die Lernlücken beim MINT-Nachwuchs dringenden Handlungsbedarf. Es ist erfolgskritisch, den Digitalisierungsschub im Bildungssystem voranzutreiben und die Lernrückstände der Schülerinnen und Schüler aufzuholen. Die viel diskutierten Herausforderungen, genügend qualifiziertes Lehrpersonal zu gewinnen sowie Mädchen und junge Frauen in MINT zu stärken, erfordern jetzt ein gemeinsames, abgestimmtes Handeln der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Bildungspraxis und Wissenschaft.